Die Wochen vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 waren geprägt von vielen Spekulationen über die Zukunft der deutschen Cannabislegalisierung.
Dazu gehörte Folgendes Gespräch zwischen Moritz Förster, Chefredakteur von Krautinvest.de, und René Repasi, SPD-Abgeordneter im Europäischen Parlament, in dem die Aktuelle Entwicklungen der Cannabispolitik in Deutschland und Europa werden diskutiert. Repasi, der auch Professor für Europarecht war, kommentiert die Herausforderungen und Chancen der Legalisierung im Kontext des europäischen Rechts.
Sie können den Podcast unten anhören (auf Deutsch), oder hier mitverfolgen vollständige englische Abschrift.
Zusammenfassung der Entwicklungen in der Cannabispolitik, Deutschland 2025
Deutschlands ehrgeizige Pläne zur Legalisierung von Cannabis stehen vor erheblichen Hürden. Druck kommt nicht nur von der konservativen CDU/CSU, die die Umsetzung in der nächsten Legislaturperiode stoppen will, sondern auch aus dem europäischen Rechtsrahmen.
Laut Repasi setzt sich die SPD - zusammen mit der Freien Demokratischen Partei (FDP) und den Grünen, die gemeinsam als Ampelkoalition bekannt sind - zwar weiterhin für eine Legalisierung ein, doch das geltende europäische Recht betrachtet Cannabis immer noch durch die Brille des 20. Jahrhunderts und stuft es als illegale Droge ein. Jahrhunderts und stuft es als illegale Droge ein. Dies schafft eine komplexe Situation, in der eine vollständige Legalisierung wahrscheinlich vom Europäischen Gerichtshof abgelehnt werden würde. Der einzige vorhersehbare Weg zu einer vollständigen Legalisierung würde eine Änderung des europäischen Rechts selbst erfordern. Eine große Herausforderung dabei ist, dass jede Änderung der bestehenden Gesetze eine qualifizierte Mehrheit erfordert, die mindestens 55% der EU-Mitgliedstaaten repräsentiert. Derzeit ist diese Schwelle unerreichbar, da mehrere Mitgliedstaaten in der Cannabispolitik konservative Positionen vertreten.
Anzeichen von Fortschritt in Europa
Ein möglicher Durchbruch könnte durch die bevorstehende Evaluierung des Rahmenbeschlusses 2004-757 über den Drogenhandel durch die Europäische Kommission erzielt werden, wobei konkrete Vorschläge für 2026 erwartet werden. Eine vorgeschlagene Lösung besteht darin, eine Ausnahmeklausel zu schaffen, die es einzelnen Ländern ermöglicht, Cannabis innerhalb ihrer Grenzen zu legalisieren, ohne den Binnenmarkt zu stören. Das niederländische "Weed-Experiment", das die legale Cannabisproduktion und -verteilung in zehn Städten erlaubt, dient als interessanter Testfall für andere europäische Länder. In der Zwischenzeit stellt die deutsche CanG-Gesetzgebung, die sich auf die Entkriminalisierung konzentriert, einen bedeutenden Schritt nach vorn dar, den die SPD zu schützen beabsichtigt.

Wird das CanG mit der CDU/CSU an der Macht zurückgenommen?
Repasi versicherte, dass die SPD in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU zu Zugeständnissen bereit sei. Er betont, dass das CanG, das die Entkriminalisierung regelt, nicht zur Debatte stehe. Er sieht wenig Spielraum für restriktivere Maßnahmen, da das europäische Recht bereits enge Grenzen setzt. Allenfalls "wenn es restriktiver werden sollte, wird es wohl im Rahmen des CanG selbst geschehen". Und selbst wenn die CDU/CSU eine vollständige Rückkehr zum Status quo vor dem CanG anstreben sollte, so wäre dies rechtlich und praktisch schwierig.

René Repasi über die fortschreitende Legalisierung von Cannabis
Mit Blick auf die Zukunft teilt Repasi mit, dass eine vollständige Legalisierung möglicherweise nicht vor 2029-2030 erreicht werden kann, abhängig von der europäischen Zustimmung und den notwendigen Anpassungen der UN-Abkommen. Im Europäischen Parlament ist die Situation unvorhersehbar, da die Unterstützung für die Legalisierung nicht den Parteigrenzen folgt. Ein Versuchsballon in Form eines Initiativberichts könnte helfen, die Mehrheitsverhältnisse zu testen. Repasi hob die Bedeutung der von Burkhard Blienert initiierten informellen Treffen hervor, um die Kommissionsbeamten zu überzeugen. Ein positives Signal aus dem deutschen Koalitionsvertrag könnte die Kommission ermutigen, weitere Schritte zu unternehmen.

Englische Mitschrift des Podcasts
Das Transkript beginnt 1:00 nach dem Podcast.
Moritz Förster: Wie wird es in der nächsten Legislaturperiode weitergehen? Wird das CanG ganz abgeschafft, wie es zum Beispiel CDU und CSU wollen? Oder wird es eine europarechtskonforme Legalisierung der gesamten Wertschöpfungskette geben, wie es die SPD seit ihrem letzten Parteitag fordert? Fragen über Fragen zum Thema Cannabis. Und wer könnte all diese Fragen besser beantworten als unser heutiger Gast? Ich bin Moritz Förster, Chefredakteur von Krautinvest.de, und ich begrüße ganz herzlich René Repasi, Mitglied des Europäischen Parlaments für die SPD.
René Repasi: Hallo.
Moritz Förster: Schön, dass du hier bist. René, du bist nicht nur seit 1996 SPD-Mitglied, das heißt, du feierst nächstes Jahr dein 30-jähriges Jubiläum, und Mitglied des Europäischen Parlaments, sondern du warst auch Professor für Europarecht. Wie überrascht warst du vor diesem Hintergrund, als du im Oktober, ich glaube es war 2022, das erste Eckpunktepapier der Ampelkoalition gesehen hast? Ja, Oktober 2022.
René Repasi: Das stand ja auch schon in unserem Koalitionsvertrag. Es ist schon lange Teil der SPD-Position, dass wir das wollen. Aber dass es jetzt endlich in Regierungshandeln umgesetzt wird, war ein positiver Punkt. Wir wussten schon bei den Vorbereitungen, dass es eine große Herausforderung sein würde. Nun, weniger wegen der Mehrheiten in Deutschland. Die hatten wir in der Ampelkoalition zusammengekratzt. Aber natürlich wegen der europarechtlichen und völkerrechtlichen Hürden. Und ja, was dann aus dem Bundesgesundheitsministerium kam, hat ziemlich genau ausgelotet, was möglich ist. Demnach haben wir den Durchbruch bekommen, den wir brauchten, um endlich Schritte in Richtung Cannabislegalisierung gehen zu können.
Moritz Förster: Damals sollte die gesamte Wertschöpfungskette legalisiert werden. Inzwischen ist der Tenor, dass auch die Tschechen einen Schritt zurück gemacht haben, oder zumindest einen halben Schritt zurück, und der Tenor in den Mitgliedsstaaten ist jetzt eher der, dass eine vollständige Cannabis-Legalisierung vom EuGH (Europäischer Gerichtshof) eingestampft werden würde. Auch wenn einige Experten immer wieder sagen, dass es ein oder zwei Schlupflöcher gibt, durch die man es zumindest versuchen könnte, teilen Sie die Ansicht, dass es eher sehr, sehr schwierig ist, Cannabis in einem Mitgliedsstaat tatsächlich vollständig zu legalisieren, ohne das europäische Recht anzupassen?
René Repasi: Ja, ich denke, dass hier europäisches Recht und vernünftige Politik im Widerspruch zueinander stehen. Es gibt einen guten Grund, warum wir den Weg der Legalisierung eingeschlagen haben, weil wir aus den Niederlanden gelernt haben, dass die Entkriminalisierung oder die Nichtverfolgung dort einfach dazu geführt hat, dass sich die Situation nicht verbessert hat, sondern dass die Kriminalität zugenommen hat. Der Legalisierungsansatz ist genau derjenige, der das richtige Ziel erreicht, dass wir Cannabis legalisieren und gleichzeitig alle Maßnahmen ergreifen, um einem Anstieg der Kriminalität entgegenzuwirken. Deshalb ist es auch politisch richtig. Das europäische Recht atmet noch den Geist des 20. Jahrhunderts bei der Umsetzung der einschlägigen UN-Konventionen. Jahrhunderts in der Umsetzung der einschlägigen UN-Konventionen. Wir haben das Schengener Übereinkommen, das Cannabis als Droge einstuft und damit als verbotene Ware, die nicht grenzüberschreitend gehandelt werden darf. Dann haben wir den berühmten Rahmenbeschluss über den Drogenhandel, der die strafrechtlichen Türen schließt, wo immer sie geschlossen werden können. Und in einem Fall aus den 2010er Jahren, in dem es um den Zugang zu Coffeeshops in Maastricht ging, hat der EuGH eindeutig entschieden, dass Cannabis ein illegales Produkt ist und daher keinen Schutz durch europäisches Recht genießt. Daraus kann man in der Tat schließen, dass der EuGH, wenn das europäische Recht nicht geändert wird, wahrscheinlich ein Stoppschild aufstellen wird. Anders als in Holland hat die Bundesregierung nun dafür gesorgt, dass zumindest der Anbau, die Produktion und der Vertrieb entkriminalisiert und überwacht werden können, was hoffentlich mafiöse Strukturen, wie sie in Holland manchmal behauptet werden, verhindern soll. Dennoch sagen einige, es sei irgendwie weder das eine noch das andere. Und die SPD geht jetzt noch weiter. Im ersten Entwurf des Wahlprogramms war von Cannabis oder zumindest von einer Cannabisregulierung noch gar nicht die Rede, im zweiten wurde dann auf dem Parteitag ein ganz entscheidender Satz hinzugefügt, nämlich dass man eine europarechtskonforme Legalisierung will.
Moritz Förster: Im ersten Entwurf des Wahlprogramms wurde Cannabis oder zumindest die Cannabisregulierung nicht wirklich erwähnt und dann wurde im zweiten Entwurf auf dem Parteitag ein ganz entscheidender Satz hinzugefügt, nämlich dass man eine Legalisierung im Einklang mit dem europäischen Recht will. Waren Sie von diesem Satz überrascht?
René Repasi: Nein, das hat mich nicht überrascht. Wir hatten diesen Satz schon im Europawahlprogramm, das übrigens viel weniger umstritten und leichter zugänglich war als das Bundestagswahlprogramm, obwohl ich für den SPD-Landesverband Baden-Württemberg auch Mitglied in der berüchtigten Antragskommission der Bundespartei bin. Dieser Satz ist über die Antragskommission reingekommen, und ich gehörte zu denen, die argumentiert haben, wir brauchen hier eine Klarstellung, denn wenn wir diesen Satz plötzlich fallen lassen, obwohl er im Europawahlprogramm stand, und dann so eine etwas merkwürdige Formulierung zum Umgang mit Drogen im Bundestagswahlprogramm haben, könnten falsche Schlüsse gezogen werden. Die Parteiführung hat klar gesagt, nein, es gibt überhaupt keine Absicht, davon abzuweichen, und deshalb war es auch nicht so schwierig, diesen Satz aufzunehmen.
Moritz Förster: Und das ist auch der entscheidende Satz.
René Repasi: Ja, wenn wir die Grundlagen des europäischen Rechts geändert bekommen, dann können wir den deutschen Weg weitergehen. Das ist sozusagen das Gute an der schlechten Nachricht der europäischen Rechtslage. Wir müssen dafür nicht die Verträge ändern, denn das wäre das Ende des Weges, das würde man nie hinbekommen, sondern wir müssen das einfache Recht, das Sekundärrecht der EU ändern, und in allen Bereichen, wo wir das Recht ändern müssen, reicht eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten aus, um das zu erreichen. Es ist keine Einstimmigkeit, also es ist nicht so, dass ein Staat alles verhindern kann, aber man kann eine echte Politik machen. Aber das ist ein Bohren durch dicke Bretter und man darf sozusagen nicht nachlassen. Und insofern ist das, wie Sie gesagt haben, der entscheidende Satz, mit dem wir uns einerseits zu dem bekennen, was wir in der Ampelregierung gemacht haben, aber andererseits auch deutlich machen, dass wir weiter daran arbeiten wollen, um die große Lösung zu finden.
Moritz Förster: Ich war ehrlich gesagt auch etwas überrascht, als ich gesehen habe, dass die FDP und die Grünen das Thema direkt in den ersten Entwürfen aufgegriffen haben und die SPD, ich glaube, das war vor Weihnachten, das Thema noch nicht im ersten Entwurf aufgegriffen hat. Sie haben selbst gesagt, dass es offensichtlich auf dem Tisch lag, weil es auch auf der Tagesordnung für die Europawahlen stand, also muss es ein Thema gewesen sein. Welche Vorbehalte gab es, sich im ersten Entwurf wirklich klar dazu zu bekennen? Ging es irgendwie um ein kleines Hintertürchen für Koalitionsverhandlungen mit der CDU, wie in der Cannabis-Szene gemunkelt wurde?
René Repasi: Nein, das war nicht der Punkt. Der Grundansatz des Bundestagswahlprogramms war, es besonders klein zu halten, es nicht zu umfangreich zu machen, nicht mehrere hundert Seiten zu haben. Und der Grundansatz, den der Generalsekretär Matthias Miersch ausgegeben hat, war, dass alles, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, dass wir dazu stehen und dass es selbstverständlich ist, und deshalb sollte nur das, was wir in Zukunft anders machen wollten, in das Programm geschrieben werden. Und deshalb hat er den Punkt auch nicht erwähnt, weil er einfach der Meinung war, wir haben es gemacht, wir bleiben dabei und machen weiter. Im Laufe der Programmerstellung kamen aber andere Punkte hinzu, wo man stolz auf die Vergangenheit war und daran festhalten wollte, d.h. die Logik wurde durchbrochen. Und dann gab es, wie gesagt, einen etwas komplizierten Satz über die Regulierung von Drogen, der dann in diesem Zusammenhang zu völlig falschen Schlussfolgerungen führte. Und dann war es auch leicht, zu Miersch zu sagen, guck mal, wir haben hier schon den Grundgedanken gebrochen, also wird es irreführend. Warum sollten wir eigentlich bei einem Erfolg dieser Regierung, auf den wir auch stolz sein können, überhaupt ein Missverständnis aufkommen lassen? Und das wurde schnell verstanden, so dass es auch leicht war, die Klarstellung ins Programm zu bekommen. Aber dass das nicht in dieser ersten Fassung stand, hat etwas mit dem etwas hochtrabenden Ansatz zu tun, ein sehr schlankes Wahlprogramm auf den Tisch legen zu wollen. Aber es gibt keine Hintertür. Sie wollen an dieser Stelle im Wahlprogramm keine Öffnung gegenüber der CDU haben. Und das wird garantiert einer der harten Verhandlungspunkte sein, wenn wir in die Verlegenheit kommen, mit der CDU in Koalitionsverhandlungen zu treten.
Moritz Förster: Ich hatte auch ein bisschen Bauchweh wegen eines Satzes. Da steht nicht explizit, dass wir uns zum CanG bekennen, also zur Entkriminalisierung, wie wir sie umgesetzt haben, sondern wir wollen eine Legalisierung im Einklang mit dem europäischen Recht. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, können wir alle Menschen in der Cannabisbranche, die dem CanG verbunden sind, beruhigen. Nämlich, dass das CanG von Seiten der SPD nicht zur Debatte steht.
René Repasi: Ja, von Seiten der SPD steht das nicht zur Debatte.
Moritz Förster: Und wenn es zu harten Koalitionsverhandlungen mit der CDU kommt, wo ist die SPD Ihrer Meinung nach am ehesten bereit, das CanG zu verschärfen?
René Repasi: Homegrow, Clubs, medizinisches Cannabis, die Pilotprojekte - Play hat jetzt noch einmal gesagt, dass dies wahrscheinlich nicht vor der Wahl passieren wird, also sind sie sowieso noch in der Schwebe.
Moritz Förster: Wo besteht Ihrer Meinung nach Gesprächsbereitschaft, und könnte es zu einer Neujustierung im Hinblick auf eine konservative Regierung kommen, wenn sie von einer konservativen Partei oder einem konservativen Koalitionspartner geführt wird? Wir wissen noch nicht, wie die Wahl ausfallen wird.
René Repasi: Ja, das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Denn es ist schon so: Wenn man einfach die ideologische Brille abnimmt und sich anschaut, was im CanG steht, dann kann man sich schon fragen, warum man als Konservativer eigentlich Probleme damit haben sollte. Es ist ja schon extrem eingeschränkt, nämlich weil das europäische Recht schon so hohe Hürden setzt. Wir machen eigentlich nur Dinge im Rahmen von, na ja, was privat möglich ist und was im Rahmen von Pilotprojekten möglich ist, die noch ausgewertet werden müssen. Und wo auch ganz klar ist, wenn sich bis zum Ende der Evaluation der Pilotprojekte am europäischen Recht nichts ändert, dann ist der Weg auch zu Ende. Denn wir haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Ausnahmen vom Straftatbestand für Wissenschafts- und Forschungszwecke vorzusehen. Das wurde getan. Aber das ist nach dem EuGH etwas, was zeitlich gebunden sein muss und nicht unbefristet laufen kann. Vor diesem Hintergrund ist es ein bisschen schwierig zu sehen, wo es eigentlich einen Spielraum gibt, wenn man nicht die Axt an das ganze Gesetz legen will. Und insofern, ja, ich will gar nicht vorgreifen auf irgendwelche Verhandlungen. Ich sehe im Moment nicht, wie wir restriktiver werden können, ohne, wie gesagt, an den Kern des Gesetzes zu gehen. Die CDU hat gesagt, dass sie komplett zum Status quo vor dem CanG zurückkehren will.
Moritz Förster: Ich finde das ziemlich schwierig. Die Clubs haben sich gegründet. Die Leute wachsen bereits zu Hause. Die Vereine haben auch Verträge unter bestimmten Bedingungen unterzeichnet. Es handelt sich nicht mehr um eine BTM. Es wieder in die BTM zu überführen... wie einfach oder schwierig wäre ein solcher Schritt?
René Repasi: Ja, das wäre sehr schwierig, weil es auch verfassungsrechtliche Grenzen gibt. Sie haben es genau beschrieben. Es sind hier Verträge geschlossen worden. Es gibt so etwas wie einen Vertrauensschutz. Und das bedeutet, dass sich die Rechtslage, zumindest für die Vergangenheit, ohnehin nicht ändern darf. Und insofern würde eine rückwirkende Aufhebung des Gesetzes schon vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden. Was bereits besteht, kann also nicht aufgehoben werden. Wie gesagt, es würde vor deutschen Gerichten keinen Bestand haben. Die Frage ist vielmehr, wie man im Rahmen des CanG selbst die Dinge wieder restriktiver gestalten will, wenn man das wollte. Gesetzestechnisch spricht wenig dagegen, die von Ihnen beschriebene radikale Lösung zu wählen. Aber realpolitisch ist das aus den von mir genannten Gründen nicht sehr wahrscheinlich. Wir haben einen Fahrspurwechsel vorgenommen, der bereits umgesetzt wird. Das heißt, wenn es restriktiver werden sollte, dann wird das höchstwahrscheinlich im Rahmen des CanG selbst geschehen. Und zwar nicht der komplette Rollback, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Im Wahlkampf sagt man so etwas gerne, weil man vor der eigenen Wählerschaft die Muskeln spielen lassen will. Aber in der Praxis sieht es ganz anders aus. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass man da extrem wachsam sein muss. Denn wir wollen den Rollback nicht noch einmal machen.
Moritz Förster: Kommen wir zu dem anderen Punkt, den Sie angesprochen haben, nämlich die Legalisierung nach europäischem Recht und der politische Prozess, der damit eigentlich verbunden ist. Das ist etwas, wo nicht jeder wirklich weiß, wie das Ganze überhaupt funktionieren kann. Und Sie haben in einem YouTube-Beitrag schon etwas Licht in die Sache gebracht, der sehr anschaulich zeigt, was passieren müsste. Ich selbst war ein bisschen überrascht von diesem Begriff, auch aus einem zweiten Grund, nämlich ich finde es sehr schwierig, das europarechtskonform zu legalisieren, weil dafür zumindest eine Mehrheit gefunden werden müsste. Wenn ich richtig informiert bin, ist das bei einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren eine einfache Mehrheit, das sind 65 Prozent der EU-Bevölkerung.
René Repasi: Ja, nicht 55 Mitglieder, denn so viele hat die EU nicht, aber 55 Prozent der Mitglieder.
Moritz Förster: Ja, natürlich, genau, 55 Prozent der Mitglieder, ja. Wie hoch schätzen Sie angesichts des leichten Rechtsrucks in den europäischen Institutionen die Chancen ein, dass solche Mehrheiten zustande kommen werden?
René Repasi: Genau, die realpolitische Frage in Europa, das ist die entscheidende Frage. Also zunächst einmal passiert sowieso nichts, ohne dass die Kommission etwas tut. Die Kommission hat ein Vorschlagsmonopol, und ohne dass die Kommission einen Vorschlag macht, kommt nichts in Bewegung. Aber es bewegt sich etwas. Ich weiß nicht, inwieweit das bekannt ist, aber ich vermute, dass es so ist, denn die Bewegung wird sehr präzise formuliert und genau überwacht. Wir haben eine öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission zur so genannten Evaluierung des Rahmenbeschlusses 2004-757 zum Drogenhandel. Eben dieser Rahmenbeschluss, der hier die Dimensionen vorgibt, läuft derzeit bis zum 14. Februar. Jeder kann eine Stellungnahme dazu abgeben, ob er geeignet ist oder nicht. Und auf der Grundlage dieser Stellungnahmen wird die Kommission dann diesen Rechtsakt bewerten und konkrete Vorschläge machen. Diese werden für das zweite Quartal 2026 angekündigt. Wenn die Kommission also diesen Rahmen erhält, würde die Maschine im zweiten Quartal 2026 anlaufen. Wenn wir uns nun die Gesamtsituation im Rat ansehen, ist sie in der Tat schwierig. Unter den Ländern, die bereits selbst den Weg der Legalisierung eingeschlagen haben, selbst unter den Ländern, die nur die Entkriminalisierung oder die Möglichkeit der Legalisierung gewählt haben, haben wir immer noch keine qualifizierte Mehrheit. Mit anderen Worten: Die Länder, die es auf nationaler Ebene getan haben, reichen nicht aus, wenn sie sich zusammenschließen. Es braucht also auch andere, die das tun. Und das ist in der Tat das große Problem. Wir haben auch die Situation, dass die Nachbarländer Deutschlands Angst vor dem grenzüberschreitenden Drogenhandel haben und deshalb vielleicht restriktiver sind als ihre politischen Überzeugungen. Zum Beispiel im Falle Dänemarks, wo entsprechende Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Regierungen der Nachbarländer zu konsultieren, damit zumindest die Nachbarländer noch mit im Boot sind. Aber es ist klar, dass wir derzeit von einer qualifizierten Mehrheit weit entfernt sind. Das ist der Grund, warum ich einmal vorgeschlagen habe, dass wir es umdrehen. Dass wir nicht sozusagen eine europaweite Legalisierung haben wollen, weil wir viele große Vorbehalte dagegen haben, sondern dass wir eine Ausnahmeklausel einbauen, die es Deutschland erlaubt, für das deutsche Bundesgebiet zu legalisieren und es einigen Mitgliedstaaten leichter macht zu sagen, okay, wenn die Deutschen es wollen, können sie es haben. Aber dann ist es nur auf deutschem Territorium legal, darf aber nicht in den freien Handel des Binnenmarktes, also über die Grenzen hinaus, gehen. Und dann kann ich für mein eigenes Land weiterhin entscheiden, dass ich es anders haben will.
Moritz Förster: Ich glaube immer noch, dass dies eine Variante ist, bei der wir eine qualifizierte Mehrheit bekommen können, weil die Legalisierung nicht anderen Ländern in Anführungszeichen aufgezwungen wird. Wäre das auch mit Schengen vereinbar?
René Repasi: Es wäre konform. Denn Schengen ist Sekundärrecht. Wenn wir also die Hierarchie des europäischen Rechts betrachten, stehen die Verträge an der Spitze, also das Primärrecht. Und am unteren Ende haben wir das Sekundärrecht, also das einfache Recht. Das Schengener Übereinkommen, auch wenn es als Übereinkommen bezeichnet wird, war ein Übereinkommen aus den 1990er Jahren, wurde aber jetzt in das Sekundärrecht überführt. Das bedeutet, dass es den Status von Sekundärrecht hat. Der Rahmenbeschluss hat den Status von Sekundärrecht. Das bedeutet, dass wir ihn auch mit Sekundärrecht ändern können. In den Verträgen steht dann nichts. In den Verträgen wird das Thema Cannabis nicht behandelt. Und dementsprechend kann das Sekundärrecht definieren, was eine legale oder illegale Ware ist. Und wenn wir sozusagen auf der Ebene des Sekundärrechts legalisieren und dann möglicherweise nur teilweise legalisieren, dann sagt der Sekundärgesetzgeber, okay, das mache ich hier. Und das wäre also ein gangbarer Weg, der auf jeden Fall mit Schengen vereinbar wäre.
Moritz Förster: Und was denken Sie über die Situation im Parlament?
René Repasi: Ich stelle mir das unglaublich schwierig vor, denn es kann durchaus sein, dass konservative Vertreter aus progressiven Cannabisländern eher bereit sind, einer solchen Anpassung zuzustimmen als sozialdemokratische Vertreter aus restriktiveren Ländern, zum Beispiel aus skandinavischen oder osteuropäischen Ländern.
Moritz Förster: Wie schätzen Sie das ein? Wie können Sie ein Gefühl für das Abstimmungsverhalten der Mitglieder bekommen, falls die Kommission die nächsten Schritte unternimmt?
René Repasi: Ja, Sie haben es in der Tat richtig beschrieben. Die Situation im Europäischen Parlament ist so, dass wir bei diesem Thema nicht wirklich in Parteigrenzen denken können, sondern dass es durchgängig geht. In der alten Legislaturperiode hatten wir eine Gruppe von Freunden der Cannabislegalisierung mit Vertretern von der extremen Rechten bis zur extremen Linken. Und wir hatten eine Vertreterin einer niederländischen Rechtspartei aus der ECR-Fraktion, also der Fraktion von Frau Meloni, die eine starke Befürworterin der Legalisierung war und innerhalb ihrer eigenen Fraktion arbeitete. Deshalb ist die Situation genau so, wie Sie sie beschreiben. Und das macht die Mehrheiten etwas schwer vorhersehbar. Das ist der Grund, warum wir im Parlament so etwas wie einen Testballon starten müssen. Wir haben im Parlament die Möglichkeit, dass Ausschüsse so genannte Initiativberichte vorschlagen können. Das sind nicht-legislative Berichte, in denen die politische Position des Europäischen Parlaments festgelegt wird. Wir tun dies gerne zu Beginn einer Legislaturperiode, um der Kommission politische Botschaften zu übermitteln.
Moritz Förster: Okay, wenn Sie diesen und jenen Vorschlag machen, dann können Sie schon mit einer Mehrheit hier im Haus rechnen, weil wir das politisch schon hinbekommen haben. Und mit einem solchen Initiativbericht müsste man sozusagen das Wasser testen.
René Repasi: Das ist, wie gesagt, harmlos, denn wenn es nicht funktioniert, dann ist nichts verloren. Aber wenn es funktioniert, weiß die Kommission sicher, dass sie im Parlament nicht gegen eine Mauer rennen wird. Also, und das müßte entweder vom Innenausschuß oder vom Gesundheitsausschuß kommen. Wir können auch versuchen, eine Erklärung in einem Bericht abzugeben, der sich irgendwie in großem Umfang mit diesem Thema befasst, denn angesichts der zu erwartenden Änderungen der Rahmenvereinbarung, über die ich gerade berichtet habe, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Parlament etwas tun wird, um, wie ich sagte, die Mehrheiten zu testen, um zu sehen, wo noch etwas geändert werden muss. Es ist richtig, dass die progressive Seite natürlich viel offener für eine Legalisierung ist als die konservative Seite, so dass wir in der deutschen SPD-Fraktion innerhalb unserer eigenen S&D-Fraktion mit den nationalen Delegationen, die etwas kritischer sind, wie Sie erwähnt haben, insbesondere mit den skandinavischen Delegationen, in Gespräche treten müssen, um eine einigermaßen einheitliche Position innerhalb der Fraktion zu erreichen. Das Gleiche gilt für die Liberalen, die Grünen und die Linken. Wenn es auch unter dem jetzigen eher rechtslastigen Europäischen Parlament kleinere Gruppen in den rechtsextremen Fraktionen gibt, die dies vor dem Hintergrund ihrer nationalen Besonderheiten unterstützen, könnte es durchaus eine Mehrheit im Europäischen Parlament geben. Mit anderen Worten: Meiner Einschätzung nach dürfte es leichter sein, eine Mehrheit im Parlament zu bekommen als eine qualifizierte Mehrheit im Rat.
Moritz Förster: Wenn dann richtig abgestimmt wird und die Mehrheiten nicht erreicht werden, dann ist das Thema für die nächsten Jahre vom Tisch, oder?
René Repasi: Das ist in der Tat der Fall, denn dann wird der Vorschlag abgelehnt, und die Kommission müsste das Verfahren neu aufrollen. Und bei jedem Start eines Prozesses analysiert die Kommission, wie wahrscheinlich es ist, dass er Erfolg hat, denn, wie ich schon sagte, will sie sich keine blutige Nase holen. Und wenn sie sich einmal eine blutige Nase geholt hat, wird sie wahrscheinlich mehrere Jahre, wenn nicht sogar ein Jahrzehnt, warten, bevor sie es erneut versucht.
Moritz Förster: Das heißt, ein gutes Testergebnis, wann immer es eintritt, wäre sehr, sehr wichtig, um der Kommission genügend Anreiz und auch genügend Sicherheit zu geben, das Gesetzgebungsverfahren überhaupt einzuleiten.
René Repasi: Das ist richtig, also um der Kommission eine entsprechende Hilfestellung zu geben, müsste das bis Ende 2025, Anfang 2026, eher Ende 2025 geschehen, wenn es bei dem Zeitplan bleibt, dass sie eigentlich im zweiten Quartal 2026 einen Vorschlag machen wollen, dann sollten sie schon ein paar Monate vorher wissen, wie weit sie sich zu diesem Zeitpunkt aus dem Fenster lehnen können oder nicht.
Moritz Förster: Ich hatte immer das Gefühl, dass in den letzten Jahren auf europäischer Ebene nicht viel passiert ist. Es gab immer diese informellen Treffen, die Burkhard Blienert auch maßgeblich vorangetrieben hat. Welche Rolle spielten sie als Vorbereitung für einen solchen politischen Prozess?
René Repasi: Ja, sie waren sehr, sehr wichtig und sehr, sehr zentral. Es ist also gut, dass Burkhard jemand ist, der weiß, wie europäische politische Prozesse funktionieren. Im Prinzip muss man damit beginnen, die Beamten der Kommission zu überzeugen. Und das hat er akribisch gemacht. Und das sind die Leute, die diese Konsultation eingeleitet haben und die sich damit befassen. Und deshalb war das sehr, sehr wichtig, weil die Kommission dann bis zu einem gewissen Grad auf das Problem aufmerksam geworden ist. Natürlich werden sie sich jetzt sehr genau ansehen, was in Deutschland passiert. Wenn der künftige Koalitionsvertrag die Lichter ausknipst, dann wird sich die Kommission nicht mehr trauen, etwas zu tun. Denn wenn sie Deutschland auch im Rat verliert, dann wissen sie, dass das nicht von Erfolg gekrönt ist. Insofern wird man auf Deutschland schauen. Aber die Vorarbeit, die Blienert hier mit seinen Vorgesprächen geleistet hat, ist auf jeden Fall geleistet worden. Und vor allem brauchen wir jetzt das Signal aus dem Koalitionsvertrag, damit sich die Kommission dann traut, die nächsten Schritte zu gehen.
Moritz Förster: René, es ist im Moment unglaublich schwierig, Vorhersagen zu treffen, weil es so viele Unwägbarkeiten gibt. Wollen Sie trotzdem eine Vermutung wagen und schätzen, wann das erste Land in der EU eine Cannabis-Wertschöpfungskette als Freizeitprodukt vollständig legalisiert haben wird?
René Repasi: Vollständig legalisiert? Wow, das ist wirklich schwierig, weil es, wie gesagt, davon abhängt, wann wir nach europäischem Recht grünes Licht bekommen. Außerdem muss das Land, das das tut, auch aus allen UN-Abkommen austreten. Das ist verfahrenstechnisch etwas einfacher als eine Änderung des europäischen Rechts. Es ist alles an Bedingungen geknüpft. Sagen wir also, wenn ich optimistisch wäre, die Kommission schlägt so etwas tatsächlich im zweiten Quartal 2026 vor, dann läuft ein Gesetzgebungsverfahren, wenn es einigermaßen reibungslos verläuft, was in diesem Bereich nicht sehr wahrscheinlich ist, aber sagen wir, es wird in zwei Jahren abgeschlossen sein, dann hätten wir 2028, und dann kann es umgesetzt werden. Insofern könnte man wahrscheinlich den Zeitraum 2029-2030 nennen, um das Gesetz zu legalisieren. Die Ausnahme für wissenschaftliche und Forschungszwecke bleibt bestehen, auch der Weg, den die Niederlande eingeschlagen haben, und niemand weiß genau, wie lange die Frist tatsächlich sein kann, 10 Jahre, 20 Jahre. Insofern gibt es auch Spielräume, die man testen kann, mit denen man schon im Vorgriff auf das, was kommen mag, voll legalisieren kann, aber dann natürlich auch das Risiko eingeht. Und gerade wenn man Risiken eingeht, sind solche Diskussionen wichtig, denn wenn die Kommission kein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, gibt es niemanden, der sagt, das ist europarechtswidrig. Und insofern kann eine Kommission auch tolerieren, dass so etwas gemacht wird. Wenn man aber auf der sicheren Seite sein will, ist es besser, über den genannten Zeitraum zu sprechen.
Moritz Förster: Ja, ich finde das erwähnte Gras-Experiment in den Niederlanden sehr aufregend, denn alle Erwachsenen, zumindest diejenigen mit Wohnsitz in den Niederlanden, können in zehn Städten legal produziertes, legal vertriebenes und kontrolliertes Cannabis für den Freizeitgebrauch erwerben. Es geht also weit über das hinaus, was wir zum Beispiel in der Schweiz sehen. Das ist also etwas, das man im Auge behalten sollte, um zu sehen, wie es sich entwickelt.
René Repasi: Genau, und genau das ist auch in diesem Fall passiert, dass die Vertreter der niederländischen Regierung im Vorfeld eng mit der Kommission kommuniziert haben, dass die Kommission nichts unternehmen würde.
Moritz Förster: Gute Nachrichten für alle Zuhörer. Mit der SPD in der nächsten Regierung wird das CanG nicht zurückgenommen. René, du hast uns das noch einmal glaubhaft versichert. Darüber sind wir froh. Und so wird Deutschland, wenn die SPD an der Regierung ist, ein ganz wichtiger Akteur für eine vollständige Legalisierung nach europäischem Recht bleiben, möglicherweise in einigen Jahren. Wir sind gespannt, wie die ganze Wahl ausgeht und was uns die Zukunft bringen wird. Vielen, vielen Dank, René, dass du uns heute über die Geschehnisse auf europäischer Ebene berichtest, denn das wird oft viel zu wenig beachtet.
René Repasi: Gern geschehen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
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